Strauss in vier Akten
Die Strauss-Dynastie hat im 19. Jahrhundert Wien geprägt. Johann Strauss Vater wurde 1804 geboren, Eduard Strauss, der dritte Sohn, starb 1916. Sohn Nummer eins, Johann, und Sohn Nummer zwei, Josef, vervollständigen das Strauss-Quartett. Aller vier haben mehr als 1.400 Kompositionen der Nachwelt hinterlassen. Die Familie Strauss ist wohl das erfolgreichste Familienunternehmen in der Musikgeschichte.
Dabei begann die „Strausserei“ gar nicht mit einem Strauss, sondern mit Josef Lanner.
Akt 1 Josef und Johann spielen auf im ¾ Takt
Josef Lanner (1801 – 1843) ist Autodidakt. Mit zwölf Jahren spielt er schon Violine in einer Kapelle, tritt in renommierten Lokalen und Kaffeehäusern auf. Aus dem Quartett mit Johann Strauss (1804 – 1849), der Viola spielt, wird ein Orchester, und aus dem Orchester werden bald zwei Orchester, das eine geleitet von Lanner, das andere geleitet von Strauss. Man kennt die zwei, nennt sie „Flachskopf“, den blonden Lanner, und „Mohrenschädel“, den schwarz gelockten Strauss. Das anfängliche freundschaftliche, aber konkurrierende Miteinander schlägt 1825 in eineTrennung um. Strauss hält sich für den besseren Komponisten und will aus dem Schatten von Lanner treten. Er gründet sein eigenes Orchester, und 1825 wird ein zweiter Johann geboren. Die Mutter Anna Streim ist eine Wirtstochter aus dem Gasthaus „ Zum braunen Hirschen“. Zur Trennung schreibt Lanner den „Trennungswalzer“.
In den Folgejahren sollte Strauss beliebter als Lanner werden. 1835 wird er am Hof von Kaiser Ferdinand Hofballmusikdirektor. Strauss ist jetzt musikalischer Unternehmer. Er ist der erste Orchesterdirektor, der mit seinen Musikern Arbeitsverträge abschließt. Der große musikalische Erfolg lässt allerdings sein Familienleben zu kurz kommen. Für den kleinen Johann und seine Brüder bleibt kaum Zeit. Trotzdem – der erstgeborene Sohn bewundert den Vater. Der feiert nicht nur in Wien große Erfolge, auch Paris und London liegen ihm zu Füßen. Seine Ehe ist mittlerweile nicht mehr zu retten. Er lebt offiziell bei Frau und Kindern, führt aber mit der jungen Emilie Trampusch eine Art Zweitfamilie. Sie bringt zwischen 1835 und 1844 sieben Kinder von ihm zur Welt.
Als Lanner 1843 stirbt, wird Strauss zum alleinigen Walzerkönig. Strauss ist übrigens ein überzeugter Kaisertreuer, der mit der Revolution von 1848 nichts anfangen kann. Seine bekannteste Komposition, der Radetzkymarsch, ist seiner Begeisterung für den Feldmarschall geschuldet. Sohn Johann ist mehr auf der Seite der Revolutionäre. 1849 kommt Strauss Vater nach einem enttäuschenden Gastspiel in deutschen Städten zurück nach Wien, weil er bei einem Festbankett zu Ehren von Radetzky den berühmten Marsch spielen soll. Doch er erscheint nicht. Drei Tage später stirbt er mit nur 45 Jahren an Scharlach, angesteckt von einem seiner Trampusch-Kinder. Auf dem Zentralfriedhof liegen Lanner und Strauss friedlich nebeneinander.
Akt 2 Der Walzerkönig und seine Frauen
Johann will wie sein Vater mit einem eigenen Orchester in den Kaffeehäusern spielen. Und im Oktober 1844 ist es soweit. Schani, so wird Johann genannt, debütiert in Dommayers Casino, heute steht dort das Parkhotel Schönbrunn.
Sein Auftritt wird zu einem glänzenden Erfolg, die „Schanimania“ beginnt. Der Vater, der nicht will, dass Johann in seine Fußstapfen tritt, beginnt zu intrigieren, zu intervenieren, um dem Sohn Engagements zu vermasseln. Der Krieg der Sträusse nimmt ein erwartetes Ende: Johann Sohn obsiegt, obwohl Johann Vater durchaus bemerkenswerte Kompositionen schreibt, die ebenso wie die seines Sohnes bejubelt werden. Und obwohl Strauss Vater dem herrschenden autoritären Metternich-Regime huldigt, wohingegen der Sohn mit seinen „Barricaden-Liedern“ und dem „Revolutionsmarsch“ einen (temporären) Kontrapunkt setzt. Temporär, denn so wirklich politisch ist Johann nicht, will er doch k.k. Hofball-Musikdirektor werden. Diplomatisches Geschick und Zurückhaltung statt revolutionärem Gedankengut sind für die Karriere gefordert. Doch erst 1863 bekommt er den begehrten Titel. Vor Vaters Tod im September 1849 versöhnen sich die Beiden. Anna, seine Mutter, hat nun als seine Managerin freie Bahn. Walzer auf Walzer fließen aus seiner Feder, zwischen 1850 und 1862 mehr als 80. Am 27. August 1862 heiratet er im Stephansdom seine Jetty, Henriette Treffz, eine um sieben Jahre ältere Sängerin und ex-Geliebte des Bankiers Moritz Ritter von Todesco, der im Palais „Zum Blauen Engel“ logiert, heute das Palais Todesco mit der Hofzuckerbäckerei Gerstner.
Das Paar nimmt 1863 in der heutigen Praterstraße 54 eine großzügige Wohnung und erwirbt zudem 1870 eine schöne Villa am Schloßpark Schönbrunn in der heutigen Maxingstraße 18.
Jetty wird zum Fixpunkt in Johann´s Leben: Ehefrau, Managerin und Beraterin. Zwischen 1862 und 1878 entstehen wundervolle Walzer:
- An der schönen blauen Donau, op. 314, 1867
- Künstlerleben, op. 316, 1867
- Geschichten aus dem Wiener Wald, op. 325, 1868
- Wein, Wein und Gesang, op. 333, 1869
- Freut Euch des Lebens, op. 340, 1870
- Tausend und eine Nacht, op. 346, 1871
- Wiener Blut, op. 354, 1873
Jetty ist es vor allem zu verdanken, dass Strauss im Sommer 1872 eine umjubelte Amerika -Tournee macht. Im April 1878 erleidet sie einen Schlaganfall und stirbt. Strauss, der mit Sterben und Tod nicht zurechtkommt, bleibt dem Begräbnis fern. Die Trauer über ihren Tod dauert allerdings nicht lange. Im Mai 1878 heiratet er die Gesangschülerin Angelika „Lily“ Dittrich, 25 Jahre jünger. Nach drei Jahren erfolgt die Trennung von „Tisch und Bett“, nicht aber die rechtskräftige Scheidung. Lily zeigt nie wirklich Interesse an der Arbeit ihres Mannes und stürzt sich zudem in ein außereheliches Verhältnis mit dem Direktor des Theaters an der Wien. Es passt einfach nicht. In dieser Zeit, 1880, entsteht nur ein Meister-Walzer: Rosen aus dem Süden, op. 388.
Strauss ist allerdings nicht dazu berufen, allein zu leben. Seine dritte Frau, als Adele Deutsch geboren, heiratet 1874 den Eisenbahner Anton Strauß, wird aber kurz nach der Ehe Witwe. Strauss, noch offiziell verheiratet, und Adele, verwitwet, planen seine dritte Ehe. Doch wie soll das gehen, der Mann ist noch verheiratet. Ein Trick muss her. Strauss bittet den Herzog von Sachsen um Hilfe. Die kuriose Lösung: Johann und Adele geben ihre österreichische Staatsbürgerschaft auf und nehmen die sächsische an. Zum Schein erhalten sie einen Wohnsitz in Sachsen-Coburg und konvertieren zum Protestantismus. Am 15. August 1887 werden Johann und Adele in Coburg legal getraut.
Akt 3 Johann, der Operettenkönig
Nach seiner Rückkehr aus Amerika beginnt unter dem Einfluss von Jetty die Metamorphose. Strauss entwickelt sich vom reisenden Kapellmeister und Kompositeur von beschwingten Walzern zum Schöpfer von unsterblichen Operetten. Die Premieren von „ Indigo und die 40 Räuber“ (1871) und „Carneval in Rom“ (1873) werden zu einem Riesenerfolg. Parallel zu ihm dirigiert auch Jacques Offenbach in Wien, ein produktiver Konkurrenzkampf ist entfacht. Und dann entsteht sie, in seiner Villa in der heutigen Maxingstraße 8 in den Jahren 1873 und 1874, die Mutter aller Operetten: „Die Fledermaus“.
Es ist seine dritte, die zur berühmtesten aller 15 Operetten werden sollte. Die Uraufführung am 5. April 1874 verläuft grandios, „Triumph! Sieg auf allen Linien“, jubelt das Wiener Sonn-und Montagsblatt. Der erste Flop kommt mit der sechsten Operette „Blinde Kuh“. Die weiteren Werke werden vom Publikum wieder begeistert aufgenommen. In den Jahren 1883 und 1885 folgen zwei Operetten, die auch heute noch sehr beliebt sind: „Eine Nacht in Venedig“, ein Auftrag aus Berlin, und „Der Zigeunerbaron“. Besonders die Arbeit am „Zigeunerbaron“ belastet Strauss. Er nimmt sich mal wieder eine Auszeit und fährt zur Kur. Mit seiner einzigen (komischen) Oper „Ritter Pazman“ fällt er auf der Bühne der Hofoper durch. Im Oktober 1894 ist es „Die Fledermaus“, die im Opernhaus triumphalen Einzug hält. Und bis heute wird der Jahreswechsel traditionell mit der Rache der Fledermaus gefeiert.
Die 1890iger sind recht durchwachsen. Pfingsten 1899 liegt Strauss mit hohem Fieber im Bett, am 3. Juni 1899 stirbt er an einer Lungenentzündung in den Armen seiner Adele. In seinem Testament wird sogar der Portier seines Wohnhauses berücksichtigt, nur einer nicht: sein Bruder Eduard. „Wenn ich vorstehend nicht auch meinen lieben Bruder Eduard bedacht habe, so hat dies nur darin seinen Grund, dass er sich in günstigen Lebensverhältnissen befindet“. Das sollte fatale Folgen haben.
Akt 4 Die Joker: Josef und Eduard
Josef, 1827 geboren, ist als Kind still und kränklich. Für „Pepi“, so wird er gerufen, ist der Berufsstand des Musikers kein Thema. Dennoch bekommt er Klavierunterricht und liebt es, mit seinem älteren Bruder Johann gemeinsam vierhändig zu musizieren. 1841 schreibt er sich im Polytechnikum ein, um Bauzeichnen und Maschinenlehre zu lernen. Die bürgerliche Karriere, sehr zum Wohlgefallen des Vaters, ist zum Greifen nah. Josef ist sozial eingestellt und sympathisiert im Revolutionsjahr 1848 mit den Aufständigen. 1852 heuert er mit Ingenieursdiplom in der Maschinenfabrik am Tabor in der Leopoldstadt an und lernt eines Tages auf seinem Weg zur Arbeit seine spätere Frau Karoline kennen. Als Bruder Johann im Herbst 1852 von einer Konzertreise völlig erschöpft zurückkehrt, beginnt er, Josef zu bearbeiten, für ihn interimistisch sein Orchester zu leiten. Mutter Anna hilft kräftig nach, und schon im Juli 1853 debütiert Josef als Dirigent vor Publikum.
Das ist die Wende im Leben von „Pepi“. Johann animiert ihn, auch selbständig zu komponieren. Josef, immer noch von einem kurzen Ausflug ins Musik Business überzeugt, komponiert seinen ersten Walzer „Die Ersten und die Letzten“. Er studiert Generalbass, Kompositionslehre und Violine, und komponiert und dirigiert. Aus dem Bauzeichner ist ein veritabler „Strauss“ geworden. Die Erfolge kommen, das Publikum liebt ihn, der glamouröse Bruder respektiert ihn. 1866 treten beide bei einer Charity der Fürstin Pauline Metternich auf, 1869 auch in Russland. Zwischen den vielen Auftritten und Reisen gibt es immer wieder kränkelnde Perioden. Josef baut rapide ab. Den Tod seiner Mutter im Februar 1870 verkraftet er nicht. Bei einem Konzert im Warschau fällt er vier Monate später bewusstlos vom Dirigentenpult. Am 22. Juli stirbt Josef Strauss. Zeitgenössische Kritiker meinen, der „Pepi“ sei dem „Schani“ als Komponist zumindest ebenbürtig gewesen, aber im Vergleich zu Johann wenig charismatisch. Johann über Josef: „ Der Pepi ist der Begabteste, ich bin nur der Populärste“. Josef Strauss komponierte 283 Walzer, für einen studierten Ingenieur gar nicht so schlecht!
Und schon sind wir beim vierten Strauss, der„fesche Edi“. Auch er stellt sich nach und nach in den Dienst des Familienunternehmens. Geboren 1835, lernt er im Akademischen Gymnasium Latein, Griechisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Denn er will Diplomat werden. Wie Josef wird auch er von seinem Bruder Johann und seiner Mutter Anna für das Strauss-Business rekrutiert. Er nimmt Unterricht in Violine, Klavier und Harfe. Im Februar 1855 tritt er erstmals vor Publikum als Harfenist auf. Sechs Jahre später folgt dann der gemeinsame Auftritt mit seinen beiden Brüdern, alle drei dirigieren „ihre“ Orchester, die Musik-Sensation für das Wiener Publikum. Ab 1862 dirigiert er auch ohne Brüder, vertritt Johann, und schreibt Komposition um Komposition. Edi ist eitel, liebt das Show-Dirigieren und ist süchtig nach Orden und Titeln. Nach dem Tod von Josef (1870) und der Hinwendung von Johann zur Operette übernimmt er allein das Orchester und wird 1872 zum k.k. Hofballmusikdirektor ernannt. 30 Jahre lang, bis zur Auflösung seines Orchesters im Jahr 1901, ist eigentlich er der Repräsentant der Strauss-Musik in Wien und auf vielen Konzertreisen im Ausland (u.a London, Amerika). Krankheitsbedingt, von einer Schulterverletzung bis zur Malaria, muss er seine Karriere aufgeben.
Und dann kommt das Jahr 1907. Eduard liquidiert das gesamte Notenmaterial der Strauss-Kapelle, er lässt das gesamte musikalische Archiv der Strauss-Dynastie verbrennen. Ist es Rache, weil er in Johann´s Testament leer ausging? Oder wie der Biograf Leigh Bailey meint „ War die Verbrennungsaktion (…) eine Vorsichtsmaßnahme, damit die Arrangements nicht ohne Nennung der Autoren von anderen Kapellen nachgespielt werden konnten? …“
Neun Jahre später, im Dezember 1916, wenige Wochen nach dem Tod von Kaiser Franz Joseph, erleidet Eduard einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholt.