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Sevilla – Viva el toro bravo / Teil II

Bei ca. 1.700 Stierkämpfen pro Jahr und sechs Stieren pro “Kampf” werden jährlich über 10.000 toro bravos in Spanien getötet. Das Thema polarisiert. Bis Sevilla hatte ich weder eine Meinung noch einen optischen Bezug dazu. Das hat sich in Sevilla geändert. Am 24. April 2022 erlebe ich meinen ersten (und letzten) Stierkampf. Inspiration, Kunst und Harmonie, das sind die Worte des berühmten Stierkämpfers Curro Romero über seinen Beruf, kann ich an diesem Abend nicht erkennen.

Ruhe vor dem Sturm. Die Arena füllt sich

“Trockenübungen”. In wenigen Minuten läuft der erste Stier ein

Der erste Akt. Der zumeist schwarze Stier läuft aus der Dunkelheit seiner Box in die pralle Sonne. Bleibt stehen, schaut sich um. Der Matador steht in sicherer Entfernung und beobachtet, wie seine Banderilleros den Stier mit ihren Tüchern reizen und hin und her jagen. Dann tritt er in Aktion. Mit seiner „Capote“, außen violett, innen gelb, lernt er den Stier kennen. Er studiert dessen Verhaltensweisen beim Angriff und bereitet sich somit auf den dritten Akt vor.

Nach einigen Angriffen auf die „Capote“ ertönt das Hornsignal. Der Picador reitet ein.

Die Pferde tragen zum Schutz einen Metallpanzer, die Reiter haben eine lange Lanze. Nach entsprechender Positionierung in der Arena wird die Aufmerksamkeit des Stieres auf den Reiter gelenkt. Sofort greift der Stier an. Die Aufgabe der Reiters ist es, den Stier mit Lanzenstößen im Nackenbereich zu verwunden, sodass er seinen Kopf nicht mehr anheben kann. Der Stier greift das Pferd mehrmals an.

Der Stier ist sehr hartnäckig. Es dauert fast zwei Minuten, bis er vom Pferd ablässt

Bei einem der sechs Kämpfe schafft es der Stier, Pferd und Reiter umzuwerfen. Eine brenzlige Situation. Alle versuchen, den Stier abzulenken. Schließlich gelingt das auch, Nach bangen Minuten steht das Pferd wieder, der Reiter hatte sich zuvor schon in Sicherheit gebracht. Ob es Verletzungen davon getragen hat – zumindest kamen Ross und Reiter bei mir wieder vorbei.

Der zweite Akt. Die drei Banderilleros treten auf. Ihre Aufgabe ist es, dem Stier jeweils ein Paar mit bunten Bändern geschmückte Spieße so in den Rücken zu stechen, dass sie hängen bleiben.

In Position

Der Stier greift an – der Banderillero setzt zum Stoß an

Dies gelingt nicht immer, obwohl die „banderillas“ acht Zentimeter lange Widerhaken haben. Angriffsziel der Banderilleros sind die Muskel zwischen den Schulterblättern, um den Stier weiter zu schwächen. Gleichzeitig darf aber der Zugang für den finalen Stoß des Matadors im dritten Akt nicht versperrt werden. Dies ist die einzige Situation, bei der der Stier in seinem Angriffsverhalten auf das Erscheinungsbild eines Menschen gelenkt wird. Der Angriff des Stieres wird vom Banderillero genutzt, indem er im richtigen Moment seinen nach hinten gespannten Körper vorschnellen lässt und die in den erhobenen Händen gehaltenen Banderillas in den Nacken des Stieres stößt. Dann flieht er aus der Angriffsrichtung des Stieres und versteckt sich hinter der hölzernen Barriere der Arena, um eine erneute Attacke des Stieres zu verhindern.

Stier verfolgt Banderillero

Der Stier steht etwas ratlos vor der Bande

Wie gesagt, nicht alle Versuche klappen, manchmal läuft ein Stier am Ende des zweiten Aktes „nur“ mit drei bis vier banderillas durch die Arena.

Der dritte Akt. Es kommt zum Showdown zwischen Matador und Stier.

Die Banderillas haben den Stier bereits sehr verletzt

Minutenlang führt der Matador, ausgerüstet mit dunkelrotem Tuch, der „muleta“ , und Degen, eintrainierte Bewegungsläufe und Tuchschwünge durch, zeigt elegante Drehungen und gestattet auch kurze Berührungen mit dem Stier. Der verletzte und geschwächte Stier ist nur auf die Muleta fixiert, der Torero, der nur wenige Zentimeter neben ihm steht, ist nicht sein Zielobjekt. Dann endlich – aus Sicht der Zuschauer – der Schlusspunkt.

Der Todesstoß naht. Der Degen ist oben

Der Matador, Auge in Auge mit dem Stier, hebt seinen Degen und senkt gleichzeitig seine Muleta. Der Stier greift mit tief gesenktem Kopf an. Das ist der Zeitpunkt, den bis zu 88 Zentimeter langen Degen von oben zwischen die Schulterblätter des Stieres zu stoßen, um die Aorta zu treffen. Ein Aufschrei des Matadors und bei Erfolg ein kollektives „Oleee …“ des Publikums. Trifft der Matador korrekt, ist der Degen nur noch mit dem Griff zu sehen.

Der Stier ist im Todeskampf. Steckt der Degen im Körper des Tieres und hat die Halsschlagader getroffen, dauert es vielleicht dreißig Sekunden, bis er einknickt. Drei der sechs Stiere gehen während dieser Zeit langsam zur Bande und brechen dort zusammen.

Jetzt kommt ein Banderillero und erlöst den Stier mit einem Dolchstoß ins Genick. Ein Torero an diesem Abend brauchte vier Versuche, um seinen Degen im Körper des Stieres zu versenken. Beifall zwar am Ende, aber deutliche Unmutsäußerungen zwischendurch.

Epilog. Der tote Stier wird, begleitet von Peitschenklängen, von einem dreiköpfigen Pferdegespann aus der Arena gezogen. Welch ein unwürdiges Bild. Im Schnitt sind 22 Minuten vergangen, ein Stier hat es knapp 30 Minuten geschafft. Am Ende lassen sich alle Überlebenden nochmals feiern, das Publikum schwenkt weiße Taschentücher.

Natürlich können auch Menschen in der Arena Schaden nehmen. Verletzte Matadore, getötete Matadore, das alles hat es schon gegeben. Aber auch Begnadigungen für Stiere durch das Publikum. Dennoch – der Ausgang des Spektakels ist klar: Am Ende ist der Stier tot. Es sind nur wenigen Minuten „Kunst“, die der Torero allein mit dem toro bravo in der Arena verbringt, und Tausende von Zuschauern seine “harmonischen” Bewegungen und die trotz Verletzung und Schwächung immer noch vorhandene Aggressivität des Stieres mit OLEEE … Rufen kommentieren. Der Stier wird in den beiden ersten Akten systematisch auf den Tod vorbereitet und dann im dritten Akt zweimal getötet, vom Matador und final-erlösend von seinem Helfer. All das soll ein schützenswertes Kulturgut sein? Es gibt spanische Kulturgüter, die mich faszinieren. Dieses gehört definitiv nicht dazu. Der Tod in der Arena wird von den Befürwortern des Stierkampfes als würdevoller Höhepunkt in einem außergewöhnlichen Stierleben gesehen. Sie applaudieren, feiern den Matador und verehren den Stier. Ist dessen Tod vor Publikum für diese Leute die ultimative Form von Verehrung, Wertschätzung?

Viva el Torero – Der Auszug nach der Arbeit

Ich verlasse die Arena nachdenklich. Warum sind die meisten Stierkämpfe ausverkauft, sind sie doch eher wenig spannend?Sitzen Tausende von Voyeuren auf den Rängen, die auf unerwartete Situationen warten? Auf Nervenkitzel? Dass der Stier gewinnt (unmöglich) oder dass Picadores und Matadore verletzt oder sogar getötet werden (möglich)? Nun ja, die Begeisterung von Picasso und Hemingway für den Stierkampf erschließt sich mir nicht. Zum Abschluss ein Zitat von Ernest Hemingway, einem aficionado de luxe für die spanische Stierkampfkultur:

 »Der ganze Stierkampf basiert auf der Tapferkeit des Stiers, seiner Einfalt und seinem Mangel an Erfahrung. Erfahrung hat nur der Mann, der mit der Capa (kirschfarbenes Cape) oder der Muleta (rotes Tuch über einem Stock getragen) zu Fuß auf den Kampfstier losgeht. Der Stier bringt lediglich die Kraft in die Arena mit und hat ca. 15 Minuten Zeit zum Erfahrung sammeln. Danach ist er tot.«

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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