Zerfall und Aufbau in Al – Balad
Weltkulturerbe verpflichtet. Seit 2014 ist die historische Altstadt von Jeddah auf der UNESCO-Liste. Al-Balad, so der Name des Viertels, steht auch auf der Restaurierungsliste des Ministry of Culture, angeblich über 50 Häuser, die durch eine grüne Schutzplane dem Besucher sofort ins Auge fallen. Vom damaligen Verteidigungsring stehen noch ein paar eindrucksvolle Tore, der Kern der Altstadt ist autofrei. Um den Kern herum fließt der Verkehr, vielen Gebäuden droht der Verfall. Kleine Shops, Lebensmittel und Handwerk, bestimmen das Straßenbild. Weit weg von der Eleganz und Sauberkeit der Malls oder den gepflegten Parks an der Corniche. Wer Al-Balad besucht, taucht in eine Welt des Zerfalls ein, sieht aber auch die Anstrengungen, zumindest punktuell, Historie wieder lebendig werden zu lassen.
Für meinen Besuch habe ich keinen detaillierten Plan. Ich lasse mich treiben, ohne Guide, verpasse dadurch natürlich spezielle Anlaufpunkte, die bei einer geführten Tour, Get Your Guide als Beispiel, kombiniert sind. Dennoch – die drei Stunden Rundgang werden zu keiner Sekunde langweilig. Touristen habe ich nur fünf gesehen, eine Zweier-Gruppe in der Moschee und eine Dreier-Gruppe mit Guide an einem Museum. Warum nur drei Stunden? Pünktlich zum Mittagsgebet schließen im historischen Kern, im Souq und im Außenbezirk fast alle Geschäfte. Für mich das Zeichen zum Aufbruch.
Bei meiner Ankunft, Uber fährt mich, muss ich an der Hauptstraße aussteigen, weil nur Fahrzeuge mit Berechtigung in die Altstadt kommen. Zu diesem Kontrollpunkt muss ich wieder zurück, da mir der Security-Mitarbeiter verspricht, einen Uber zu rufen. Ich gehe zweihundert Meter zum Jeddah Old Gate und beginne meinen Spaziergang.
Viele Gebäude wurden zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert erbaut, einige sind deutlich älter. Damals war das Bauland knapp, sodass Verdichtung angesagt war, nach damaligen Maßstäben bis zu 30 Meter hoch. Baumaterialien waren Korallengestein aus dem Roten Meer und Teakholz aus Indien, verputzt mit einer schützenden Lehmschicht. Für mich ergibt sich während des Rundgangs eine Dreiteilung der Häuser: Bewohnt, leer stehend, Restaurierungsliste. Wobei bei den bewohnten Häusern der Zerfall fortschreitet. Es wird also durchaus spannend, was die saudische Regierung plant, denn die Häuser auf der Restaurierungsliste sind nur ein Teil der kulturellen Revitalisierung. Was passiert mit den leerstehenden Häusern? Wer unterstützt die Bewohner der Häuser, deren Zerfall fortschreitet, bei der Sanierung? Eine Herkules-Aufgabe, Al-Balad wieder zur alten Schönheit zu entwickeln.
Hier eine kleine Auswahl von Häusern, leerstehend und bewohnt, die Farbe in das Straßenbild bringen
Beeindruckt bin ich von der hölzernen Vorbauten an den Fassaden, ob noch intakt oder schon zerfallen, die sogenannten Roshan. Balkonartige Erker, mit hölzernen, geometrischen Mustern verkleidet, die den Wohnraum erweitern und vor neugierigen Blicken schützen. Frauen können sich also ohne Verschleierung auf den Balkon setzen.
Im Restaurierungs-Kern liegt die Al-Shafei Moschee. Erbaut während der Herrschaft des Kalifats Omar Bin Khatab (634 – 644). Die älteste Moschee in Jeddah. Eine Einkaufsstraße, auf der linken Seite die weltlichen Geschäfte, auf der gegenüberliegenden Seite die Moschee.
Das ikonische “Bab Makkah”, das Tor zu Mekka, liegt außerhalb der Restaurierungszone. Der Verkehr fließt um das Tor herum. Von der früheren Stadtmauer ist nichts mehr übrig, nur dieses historische Denkmal wurde verschont.
Bei aller Reminiszenz an das Vergangene gibt es auch “Symbole” des Modernen.
Al-Balad ist wie ein zeitübergreifendes Museum, das sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft widmet: Alte Häuser, lebhaftes Treiben und interessante Visionen.
Ich komme um 12:30 zum Ausgangspunkt zurück. Der Security-Mitarbeiter begrüßt mich, bietet mir seinen Stuhl für die Wartezeit an und ruft einen Uber. Perfekt.