Sevilla – Viva el toro bravo / Teil I
Carmen in der gleichnamigen Oper von Georges Bizet verliebt sich in den Torero Escamillo, der in einer Arena einen Kampfstier tötet. Der Torero sonnt sich im Ruhm des Sieges und wird von den Zuschauern gefeiert. Die Huldigung des Menschen habe ich auch in der „Plaza de toros de la Real Maestranza de Caballería de Sevilla“ erlebt. Ehrenrunden, Verbeugungen, weiße Taschentücher. Beifall für den Stier gibt es nicht.
Vor dem Besuch der Arena stand ich dem Thema Stierkampf neutral gegenüber. Nach zweieinhalb Stunden in der Arena habe ich meine Meinung geändert. Was ist passiert? An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass in Teil II des Beitrages Fotos veröffentlicht werden, die ich außerhalb dieses Kontextes nicht veröffentlichen würde. Aber die Fotos sind zum Verständnis meiner Meinungsänderung – von neutral zu ablehnend – notwendig.
Nun, Stierkampf ist Business, hoch professionalisiert. Hohe Eintrittspreise für Veranstaltungen, hohe Ablösen für Züchter und hohe Gagen für Toreros – wer nicht an diesem Geldfluss teilnimmt ist der Stier. Es ist eine Industrie, die zwischen vier und fünf Milliarden Euro pro Jahr umsetzt.
Aber der Reihe nach. In speziellen Zuchtbetrieben, davon gibt es ca. 1.500, vor allem in Andalusien, Kastilien und der Extremadura, beginnt die Lebensgeschichte des toro bravo. Er ist eine besondere Rasse, die seit dem 18. Jahrhundert gezüchtet wird. Er wächst vier bis fünf Jahre in der freien Natur auf, die Liebhaber des Stierkampfs sprechen von saftigen und malerischen Weiden. In diesen Jahren wird immer wieder geprüft, ob er sich für den Auftritt in einer Arena eignet. Er wird gesund ernährt. Gesunde Ernährung kostet allerdings auch eine Menge Geld. Schätzungen sagen, dass die Aufzucht eines fünfjährigen Stieres zwischen 3.500 und 4.000 Euro kostet.
Wenn sie dann eines Tages in die Arena müssen, wiegen sie um die fünfhundert Kilo. Je nach Qualität der Stiere und der Größe der Arenen liegt die Verkaufs-Bandbreite für sechs Stiere zwischen 25.000 und 50.000 Euro. Wobei große Arenen, wie die in Sevilla oder Madrid, auch schon mal über 30.000 Euro nur für einen Stier zahlen. Nach dem Tod in der Arena werden die Stiere dann sehr schnell zu speziellen Schlachthöfen gebracht und nach sorgfältiger Gesundheitsprüfung verarbeitet und an Metzgereien und Restaurants verkauft. Ein beliebtes Gericht ist der „Rabo de Toro“, Ochsenschwanz.
Der Stierkampf beginnt
Eigentlich ist es kein Kampf, und wenn, dann ein sehr ungleicher. Denn der Stier, Symbol für Stärke und Potenz, hat nie eine Chance. Er läuft in die leuchtend gelbe, harte Sandboden-Arena und ist 20 bis 25 Minuten später tot. Beim klassischen Stierkampf stehen sich in der Regel drei Toreros mit Entourage und sechs Stiere gegenüber. Jeder Torero muss zwei Stiere töten. Das Ganze dauert ca. zweieinhalb Stunden. Bei mir waren es sechs Matadore und sechs Stiere. Die sechs Matadore teilten sich allerdings die Entourage. Diese besteht jeweils aus zwei Lanzenreitern auf gepanzerten Pferden, den Picadores, und drei Banderilleros.
In der „Real Maestranza“ wähle ich einen Platz im Schatten. Diese Plätze sind deutlich teurer als die Sonnenplätze. Ich bezahle für mein Ticket 49 Euro. Kein Schnapper. Die Arena fasst 12.000 Besucher, an diesem Abend sind vielleicht 8.000 dabei.
Die Arena muss nach dem Reglement einen Durchmesser zwischen 45 und 60 Metern aufweisen. Der Boden ist mit Sand bedeckt und von der roten „barrera“ umgeben, einem 1,60 Meter hohen Holzbretterschutz. Es gibt neben den Haupttoren offene Durchgänge mit einer davor stehenden Bretterwand, „burladero“ genannt. Diese dient den Stierkämpfern als Schutz vor dem Stier. Falls das Überspringen der „barrera” notwendig ist, gibt es als Hilfe Fußbalken auf 40 Zentimeter Höhe. Bei meinem Besuch musste einer der Banderilleros diese Option nutzen.
Neben mir sitzt die Musikkapelle, die zu bestimmten Anlässen den Paso Doble spielt.
Ein umfangreiches Regelwerk bestimmt den präzisen Ablauf der Corrida, das Ritual ist standardisiert. Hornsignale läuten die einzelnen Akte ein. Die Corrida ist eine tragische spanische Oper in drei Akten. Auch non-musikalische Geräusche gehören dazu. Wenn die Hörner in die Bande krachen, wenn die Hörner den Panzer des Pferdes treffen, wenn die Matadore ihre Kommandos geben, wenn die Zuschauer Kommentare brüllen und jede “ästhetische” Aktion des Matadors mit Oleee… würdigen.
Im Prolog reiten zwei historisch gekleidete Reiter zur Loge des Präsidenten und bitten, indem sie sich vor dem Präsidenten verneigen und den Hut ziehen, um die Eröffnung der Corrida. Danach marschieren zu den Klängen des Paso doble die drei Matadore mit ihrer Entourage in die Arena ein. Beifall braust auf. Das erste Team bereitet sich vor. Es wird still in der Arena. Alle warten auf den ersten Stier.
Fortsetzung folgt
Noch ein Wort zum Titelbild. Curro Romero gilt als eine der extravagantesten Gestalten der spanischen Stierkampfgeschichte. Geboren 1933 in einem kleinem Dorf in der Nähe von Sevilla, startet er seine Karriere als Torero im Jahr 1954. 45 Jahre später zieht er sich aus der Arena zurück. Romero polarisiert die Massen. Worauf es ihm beim Stierkampf ankommt, drückt er mit drei Worten bei seiner Aufnahme in die Akademie der Schönen Künste von Sevilla aus: “Inspiration, Kunst und Harmonie”. Stierkampf als eine Form von Schönheit – so denken viele aficionados.