Fado – Die Seele von Lissabon
Wir sitzen im „Tasca do Chico“ im Stadtviertel Bairro Alto. Plötzlich wird das Licht gedämpft, die Gespräche an den Tischen verstummen. Messer und Gabel bleiben auf dem Tisch. Vor uns nehmen zwei Gitarristen Platz. Der eine mit einer klassischen, der andere mit einer portugiesischen Gitarre. Ein groß gewachsener Mittdreißiger tritt in die Mitte, braune Schuhe, Hose und Hemd schwarz wie auch Haare und Bart. Lächelnd wendet er sich mit wenigen Worten an das Publikum. Dann beginnt er. Auf portugiesisch. Die Augen geschlossen, die rechte Hand in der Hosentasche. Ich verstehe nichts, fühle aber, dass er Gefühle transportieren will, Nostalgie, Sehnsucht, Trauer. Und mit der Schlusskadenz auch Optimismus und Selbstvertrauen. Ein Fadista singt Fado.
Fado ist in Portugal Tradition und Lebensgefühl. Der Begriff lehnt sich an das Lateinische „fatum“ an, Schicksal, göttlicher Wille. Fado, als Arme-Leute-Musik, wird in den Arbeitervierteln der Stadt geboren. Früher sollen die Prostituierten in den Kneipen im Stadtviertel Mouraria so ihr Leid geklagt haben. Im 19. Jahrhundert wurde Fado auch im Bürgertum hoffähig, um dann im 20. Jahrhundert, vor allem dank Amalia Rodrigues (1920 – 1999), den internationalen Durchbruch zu schaffen. Nach dem Ende Diktatur in 1974 war Fado zunächst „musica non grata“. Zu sehr erinnerte die Musik an die unrühmliche Vergangenheit. Der Ritterschlag erfolgte 2011 mit der Aufnahme in das immaterielle UNESCO Weltkulturerbe. Fado wird im Übrigen nur auf Portugiesisch gesungen.
Heute gehe ich ins rosafarbene Fado Museum, das im Stadtviertel Alfama liegt. Der Eintritt ist frei. Alfama ist noch mehr als Bairro Alto das Fado-Zentrum von Lissabon. Mindestens 30 Fado-Lokale sind in den engen Gassen versteckt. Das Museum wurde im September 1998 eröffnet, früher war das Gebäude (aus 1868) Station für die lokale Trinkwasserversorgung.
Ich gehe zunächst ins kleine Auditorium und lasse mich von Fadistas auf Portugiesisch mit englischen Untertiteln in die Gefühlswelt des Fado einführen. Ich bewundere das 1910 gemalte Bild „O Fado“ von Jose Malhoa, das zur Ikone der Fadistas geworden ist.
Und ich bin dankbar für den Audio-Guide, der die Musik zu den historischen Filmausschnitten berühmter Sängerinnen und Sänger liefert. Faszinierend, die Grande Dame des Fado, Amalia Rodrigues.
Obwohl das Museum auf zwei Etagen recht überschaubar ist, habe ich fast 90 Minuten dort verbracht. Ein toller Ort für alle, die intensiver als in kommerziellen Fado-Shows, in die emotionale Welt des Saudade, des portugiesischen Lebensgefühls eintauchen wollen.
Eine Alternative zu den vielen Fado Shows, die zu viel Kommerz und zu wenig Intimität habe, man sieht es den Lokalen von außen an, ist ein Rundgang mit Carlos. Wir treffen ihn um 9:45 pm am Fado Museum. Carlos ist eine Empfehlung von unserem Airbnb-Host Pedro. Er kann über www.fadonighttour.com gebucht werden. An diesem Abend besuchen wir zwei kleine intime Lokale in Alfama. Carlos erzählt uns viele Geschichten und führt uns hinter die Kulissen. Man merkt es deutlich, die Tour ist für ihn mehr Leidenschaft als Business. Im ersten Lokal steht er plötzlich auf, wechselt ein paar Worte mit den Gitarristen und fängt an zu singen. Ein Fadista. „Ob ich bei meinen Touren singe, hängt von meiner Stimmung ab“, sagt er, als er unsere Überraschung bemerkt. In beiden Lokalen treten weibliche und männliche Fadistas auf. An diesem Abend waren es mehr Männer als Frauen. „Fado lebt vom Ausdruck der Gefühle, vom authentischen Vortrag. Und das können Männer genauso gut wie Frauen“, sagt Carlos. Carlos hat zwei intime Lokalitäten ohne Nebengeräusche ausgesucht, kein Touristenlärm von der Gasse oder TV-Lärm von nebenan. Wenige Tische, andächtig zuhörende Locals, da macht Fado Spaß.
Nach zwei bis drei Auftritten kommt der oder die nächste Fadista. Manchmal entsteht auch ein spontaner musikalischer Dialog zwischen den Sängern und den Zuhörern, wie im zweiten Lokal erlebt. Das sind Momente, die unvergesslich bleiben.
Wie wird man Fado-Sänger? Carlos ist überzeugt, dass Gesangsunterricht nur ein begleitendes Element sein kann. Entscheidend sei „die Schule des Lebens“. Zuhören, lernen, üben. Wer denn die Sänger bezahle, und wie viele Auftritte im Schnitt pro Abend zusammenkommen will, ich noch von ihm wissen.“ Nun, die Gitarristen und Sänger werden von den Restaurantbesitzern bezahlt. Die Gitarristen arbeiten stationär, die Sänger kommen auf bis zu 20 Fados in bis zu zehn Lokalen. Das hängt von der Dynamik der Nacht ab“. Unsere Nacht in Alfama geht um 1pm zu Ende. Leider. Ich hätte gerne noch ein drittes Lokal besucht. Fado, zumal so intim präsentiert, kann süchtig machen.