Eurovision Song Contest in Lissabon
Als der Startschuss für den „Grand Prix Eurovision de la Chanson“ im Jahr 1956 fällt, bin ich drei Jahre alt. Bewusst nehme ich diesen von der Europäischen Rundfunkunion veranstalteten Wettbewerb erst 1966 wahr. „Merci, Cherie“, Udo Jürgens gewinnt in Luxemburg. 1982 ist es dann Nicole mit „Ein bißchen Frieden“, die erstmals für Deutschland den Sieg holt. 28 Jahre später der zweite deutsche Sieg in Oslo. Lena mit „Satellite“ kann Jury und Publikum überzeugen. 2018 geht Michael Schulte in Lissabon für Deutschland an den Start. „You let me walk alone“. Er kommt auf Platz vier, ein großartiger Erfolg nach den desaströsen Auftritten der letzten Jahre.
Als wir Lissabon für Mai 2018 planen, habe ich den Eurovision Song Contest (ESC) nicht auf der Rechnung. Zufällig lese ich davon, als ich mich über Aktivitäten in Lissabon informiere. Finale am 12. Mai, das ist doch was. Über Viagogo gehe ich auf Ticketsuche. Finaltickets ab 200 EUR aufwärts. Nein, vielleicht für die Rolling Stones, aber nicht für einen ESC. 10. Mai, 2. Halbfinale. Es gelingt mir, ein Ticket für 17 EUR zu kaufen, zwar seitwärts der Bühne, aber ich bin drin.
In Lissabon angekommen, entdecke ich auf dem Praca do Comercio das ESC Village. Vom 04. bis zum 12. Mai finden täglich Konzerte statt. Einige Länder präsentieren ein kleines Showprogramm, lokale Künstler und Bands bringen Stimmung auf den Platz und das Orchestra Metropolitana de Lisboa hat für einen Abend Charpentier, Mozart und Beethoven auf dem Programm.
Das Wetter in Lissabon ist zu dieser Zeit schlechter als in Deutschland, abends kühl, um die 14 Grad. Bei Open Air im ESC Village fehlt der Glühwein. Am 5. Mai schaue ich mir einige ESC-Künstler an, darunter auch die Sängerin aus Portugal. Überzeugt bin ich vom Song nicht. Im Finale sollte sie den letzten Platz belegen. Portugal war als Gastgeberland für das Finale gesetzt. Wie auch die fünf größten Beitragszahler der Europäischen Rundfunkunion Deutschland, UK, Frankreich, Italien und Spanien. Viel besser gefällt mir die Schweiz. Aber auch das Duo aus unserem Nachbarland hat keinen Erfolg, scheidet im Halbfinale aus.
Vier Tage später bin ich zum klassischen Konzert im ESC Village. Beginn 9:30pm. Ein bewegender Abend, trotz der kühlen Temperaturen. Zum Abschluss des Programms der 4. Satz aus der Neunten von Beethoven. Es ist immer wieder ein Erlebnis, diese Musik zu hören. Ob nun zu Hause, im Konzertsaal oder Open Air.
Ein Tag später, am 10. Mai, fahre ich um 4pm mit dem Bus zur Altice Arena, der architektonischen Perle für die Halbfinals und das Finale. Die Altice Arena ist die größte Veranstaltungshalle in Portugal mit einem Fassungsvermögen von 20.000 Besuchern. An diesem Abend scheint mir die Halle voll, aber 20.000 werden es nicht gewesen sein.
Ich genieße die Präliminarien, das Beobachten der Fangruppen vor und in der Halle. Meine 17 EUR-Investition in den Balkon 2, Sektor 1, Platz D 19 ist ein Volltreffer. Tolle Stimmung um mich herum. Eine zwölfköpfige Fangruppe aus der Ukraine vor mir, hinter mir eine norwegische Delegation, links drei Holländerinnen und rechts zwei agile Damen aus Malta.
Da kommt bis zum Auftritt der Startnummer 1, Alexander Rybak aus Norwegen, keine Langeweile auf. Rybak schafft es ins Finale. Mit der Startnummer 8 die Niederlande. Finale. Mit der Startnummer 12 Malta. Für mich ein Kandidat für das Finale, das abstimmende internationale Publikum sieht das anders. Und mit der Startnummer 18 die Ukraine. Tosender Beifall um mich herum. Eine schräge Performance, aber Finale. Aus 18 Kandidaten qualifizieren sich zehn für das Finale. Mein Tippzettel hat sieben Richtige, Dänemark, Serbien und Ungarn habe ich nicht im Finale gesehen. Die schrecklichste Vorstellung kommt aus Ungarn: Hard Rock, Geschrei, Feuerzauber, Lärm pur. Trotzdem Finale, aber dort Platz 21 von 26 Teilnehmern. Die Wartezeit bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses verbringe ich hinter dem sogenannten „Green Room“. Dort, wo die Kandidaten sitzen.
Es ist ein kurzweiliger Abend. Zurück geht es mit dem Bus zum Cais do Sobre und von dort zu Fuß in die Rua dos Ferreiros Santa Catarina. Das Finale schaue ich mir zu Hause an. Meine sieben „Richtigen“ aus dem 2. Halbfinale schneiden allerdings nur mittelmäßig ab: Schweden auf Platz 7, Moldau auf Platz 10, Norwegen auf Platz 15, Ukraine auf Platz 17, die Niederlande auf Platz 18, Australien auf Platz 20 und Slowenien auf Platz 22. Die zehn Gewinner aus dem 1. Halbfinale am 8. Mai sind deutlich besser platziert. Belegen mit Israel, Zypern und Österreich sogar die ersten drei Plätze.
Der Eurovision Song Contest ist, anders als der Name suggeriert, kein reiner europäischer Wettbewerb. Nach den Statuten des Veranstalters, der Europäischen Rundfunkunion (EBU), können alle Länder teilnehmen, die Mitglieder der EBU sind. Von den nicht zu Europa gehörenden EBU-Mitgliedern nimmt nur Israel regelmäßig teil. Es dürfen auch Länder teilnehmen, die weder zu Europa gehören noch Mitglied der EBU sind, zum Beispiel Armenien oder Australien. Die EBU rechtfertigt das mit der großen ESC-Begeisterung in diesen Ländern. Der Wettbewerb wird dort live übertragen. Australien hat erstmals 2015 teilgenommen, übertragen wird der Wettbewerb seit 1974.
Hier ein Auszug aus den aktuellen Regeln:
- Die Interpreten müssen mindestens 16 Jahre alt sein.
- Es dürfen höchstens sechs Personen auf der Bühne mitwirken.
- Das Lied muss live gesungen werden.
- Lied oder Auftritt dürfen keine politische Botschaft enthalten oder dem Image des Wettbewerbs schaden.
- Beim Auftritt dürfen keine Tiere mitwirken.
- Die Lieder dürfen frühestens am 1. September des Vorjahres veröffentlicht werden (diese Regel gilt seit dem 1. September 2010).
- Es muss sich um einen Originalsong handeln, darf keine Coverversion eiines älteren Liedes sein.
- Die Länge des Beitrags darf maximal drei Minuten betragen.
- Die Instrumental-Musik wird als Playback eingespielt.
- Die Zahl der teilnehmenden Länder ist auf 46 begrenzt, im Finale auf 26.